Das Verbundprojekt „Neue Wege in der Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung wohnungsloser Menschen“
Der Fachtag am 26. September 2024 zur Gesundheitsförderung bei wohnungs- und obdachlosen Menschen
Ende September fand im Rahmen des Forschungsprojektes und in Kooperation mit der Koordinierungsstelle für Gesundheitliche Chancengleichheit der Landeszentrale für Gesundheit in Bayern ein Fachtag am Campus München statt, der sich intensiv und kontrovers mit diesem Thema auseinandersetzte und im Rahmen von Workshops Möglichkeiten erarbeitete, wie Gesundheitsförderung gelingen kann.
Auf der folgenden Webseite finden Sie einen ausführlichen Bericht zum Fachtag, Fotos und (perspektivisch) auch die Fachtags-Dokumentation.
Projekthintergrund
Wohnungslosigkeit stellt in München und den umliegenden Landkreisen eines der zentralen sozialen Probleme dar. So waren im Jahr 2024 10.765 Menschen wohnungslos, davon 2.860 unter 18 Jahre alt. Neben fehlendem Wohnraum, Arbeitslosigkeit und Straffälligkeit sind psychische und somatische Erkrankungen zusätzliche Determinanten für Wohnungslosigkeit. Die vielfältigen gesundheitlichen Einschränkungen und die Multidisziplinarität des Versorgungs- und Hilfssystems stellen eine große Herausforderung für die Umsetzung der gesundheitlichen Versorgung und Gesundheitsförderung wohnungsloser Menschen dar. Die Zielsetzung des Verbundprojekts des Katholischen Männerfürsorgevereins e. V. und der Katholischen Stiftungshochschule München ist es, Versorgungsdefizite von wohnungslosen Menschen hinsichtlich ihrer medizinischen, pflegerischen, psychiatrischen und psychosozialen Versorgung zu erheben, Verbesserungsmöglichkeiten und deren Umsetzung anhand von Qualitätsindikatoren aufzudecken und neue Versorgungskonzepte zu entwickeln und erproben.
Einschätzung der Versorgungssituation in München
In einer ersten qualitativen Erhebung mit insgesamt 10 Vertreterinnen und Vertretern der Bezirks- und Kommunalverwaltung, der freien Träger und Initiativen und der Koordinationsstellen in Bayern zeigt sich für die Stadt München, dass sich die Gruppe der wohnungslosen Menschen aus einem heterogenen Personenkreis mit unterschiedlichen Versorgungsbedarf zusammensetzt. Obwohl die Versorgungssituation und das Versorgungssystem insgesamt als gut eingeschätzt werden, bestehen Probleme in der medizinischen, pflegerischen und psychiatrischen Versorgung, der Bereitstellung von bezahlbarem und geeignetem Wohnraum und bei den Übergängen von Systemen und an Schnittstellen.
> Die gesamten Ergebnisse sind in der Projekt-Präsentation abgebildet.
Thematische Ansätze des Projekts
In den Arbeitsgruppen „Sozialpädagogische Versorgung“, „Medizinisch/pflegerische Versorgung“, „Steuerung und Strukturierung der Hilfen“ und „weitere Themen“ wurden in der Auftaktveranstaltung am 26.09.2019 Fragestellungen zu Verbesserungsbedarfen, geeigneten Maßnahmen und Anregungen für das Projekt bearbeitet. Die Schwerpunkte der Arbeitsgruppen lagen auf der medizinisch/pflegerischen Versorgung, der Gewährung spezifischer Hilfeangebote, der Verhinderung von unvorbereiteten Entlassungen wohnungsloser Menschen aus Krankenhäusern und auf der nachhaltigen Versorgung.
Als projektrelevante Themen konkretisierten sich daraus:
- Die Erhebung von Daten zu Pflegebedarfen, medizinischer Versorgung, Mortalitäten und Entlassungen wohnungsloser Menschen aus dem Krankenhaus.
- Das Verfolgen von Ansätzen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung und Gesundheitsförderung, wie z. B.:
- die Vernetzung von Arztpraxen,
- das Einrichten einer Clearingstelle zur Erhebung des persönlichen medizinischen Bedarfs,
- die Erprobung gesundheitsfördernder Konzepte. - Die Verbesserung des Zugangs zu niedrigschwelliger psychiatrischer Versorgung.
- Die Verbesserung der ambulanten und stationären Versorgung für pflegebedürftige wohnungslose Menschen.
Vor diesem Hintergrund sind für das Projekt 3 Handlungsbereiche definiert:
- Versorgungsforschung: Darstellung von Schnittstellenproblemen in der Gesundheitsversorgung
- Versorgungskonzepte und -Modelle: Aufdeckung von Verbesserungsmöglichkeiten und Entwicklung theoriegeleiteter und nutzenorientierter Versorgungsmodelle; Entwicklung und Erprobung neuer Versorgungskonzepte und Versorgungsformen
- Qualifizierung: Entwicklung und Erprobung von Pilotvorhaben im Bereich der Fort- und Weiterbildung des Fachpersonals; praxisnahes Studium
Zu untersuchende Versorgungsbereiche
|
| psychosozial |
Methodische Vorgehensweise
Die Erforschung der oben genannten Felder erfolgt auf unterschiedlichen methodischen Zugangswegen. Hierzu zählen die Analyse von Literatur und Dokumenten, die Auswertung sekundärstatistischer Daten, sowie die qualitative und quantitative Datenerhebung zur Gesundheitssituation und Gesundheitsversorgung wohnungsloser Menschen.
Zwischenergebnisse zum Projekt
Die derzeitigen Projekttätigkeiten in den Handlungsbereichen konzentrieren sich derzeit auf die folgenden Tätigkeiten:
- Versorgungsforschung: Bedarfserhebung im medizinischen Hilfesystem und dem Entlassmanagement; Versorgung älterer, pflegebedürftiger wohnungsloser Menschen
- Versorgungskonzepte: Konzeptualisierung und Initiierung einer Krankenwohnung für Straßenobdachlose
- Wissenschaftliche Vorträge und Öffentlichkeitsarbeit
Das Projekt „Neue Wege in der Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung wohnungsloser Menschen“ ist ein Verbundprojekt des Katholischen Männerfürsorgevereins e. V. und der Katholischen Stiftungshochschule München.
Die Finanzierung erfolgt durch die Erzdiözese München und Freising.
Versorgung wohnungsloser Menschen durch die Arztpraxen
Die Versorgung wohnungsloser Menschen durch die Arztpraxen (insbesondere Pilgersheimer Straße; St. Bonifaz; Malteser Hilfsdienst und Ärzte der Welt e.V. – open.med) ist von besonderer Bedeutung. Diese übernehmen die medizinische Versorgung versicherter und nicht versicherter PatientInnen in erheblichem Maß wie die Behandlungszahlen in der folgenden Tabelle zeigen:
Tabelle 1: Anzahl der Patientinnen und Patienten pro Jahr
Open med | Arztpraxis St. Bonifaz | Arztpraxis Pilgersheimer Straße | Malteser Migranten Medizin | ||
Anzahl PatientInnen | 778 (2019) | 1394 (2018) | 860 (2017) | 859 (2019) | |
967 (2021) | 1430 (2019) | 1056 (2020) | 710 (2020) |
Quelle: eigene Darstellung
Zentrales Thema aus der Sicht der Arztpraxen ist auch die Versorgung nicht anspruchsberechtigter wohnungsloser Menschen in München. Es wird deutlich, dass der Versorgungsbedarf durch die Arztpraxen, auch in der Pandemie, weiterhin sehr groß ist.
Wohnungslose Menschen im Entlassmanagement von Kliniken und Krankenhäusern
Die Versorgung nicht anspruchsberechtigter wohnungsloser Menschen wurde auch im Rahmen unserer Untersuchung von Mitarbeitenden im Entlassmanagement der Kliniken und Krankenhäuser in München bestätigt. Insgesamt wurden 14 Personen durch ein leitfadengestütztes qualitatives Interview befragt.
Quelle: eigene Darstellung
Es zeigt sich, dass Menschen ohne einen Rechtsanspruch, wie oben beschrieben, im System der prekären Versorgung verharren und ggf. durch Ausweisung bedroht sind.
Die Öffnung zu den weiterführenden Systemen, insbesondere nach SGB IX, SGB XII aber auch SGB II bleibt nur für diejenigen geöffnet, die auch entsprechende Rechtsansprüche erworben haben und diese durchsetzen können.
Versorgung, älterer pflegebedürftiger wohnungsloser Menschen
In einer ersten Bewertung der Situation lässt sich folgendes feststellen:
Das Konzept einer niedrigschwelligen Versorgung im Bereich der Wohnungslosenhilfe ist in erster Linie für eine jüngere, insbesondere auch gesundheitlich stabilere Klientel ausgerichtet. Die Problemfälle, die geschildert werden, sind teilweise der demographischen Entwicklung der Klientel, aber auch der Chronifizierung von Erkrankungen geschuldet. Die strukturellen und personellen Bedingungen der Einrichtungen sind auf eine zunehmend pflegebedürftige und unselbständigere Klientel nicht eingerichtet.
In einer ersten Befragung wurden die Leiter*innen dreier Einrichtungen der Langzeithilfe im KMFV untersucht mit insgesamt 187 Plätzen.
Konzeptualisierung und Initiierung einer Krankenwohnung
Strukturell zeigt sich, dass Menschen ohne Versorgunganspruch in einem geschlossenen System verweilen und die Chancen auf Vermittlung in weiterführende Hilfe, trotz eines möglichen Rechtsanspruchs, gering sind.
Der Weg führt von der Straße bei medizinischen Notfällen in der Regel entweder in eine der vier versorgenden Arztpraxen (Pilgersheimer Straße, St. Bonifaz, Ärzte der Welt [open.med] oder Malteser Hilfsdienst) oder in eines der versorgenden Krankenhäuser. Die Vermittlung in das weiterführende und ausdifferenzierte Hilfesystem der Wohnungslosenhilfe oder gar in eine Wohnung ist nahezu unmöglich. Es bleibt die Rückkehr bei Entlassung auf die Straße, die Anbindung an Hilfsangebote wie Haneberghaus St. Bonifaz, Teestube, Beratungsstellen z.B. Schiller 25 oder Otto und Rosi, die Bahnhofsmission und den Sektor der ordnungsrechtlichen Unterbringung (Pilgerheimer Straße, Karla 51 Notschlafstellen [Bayern Kaserne]).
Aufgrund dieses Bedarfs wurde von Seiten des Forschungsprojekts eine Krankenwohnung konzipiert, die in einem ersten Schritt mit vier Plätzen auf Initiative des KMFV und mit alleiniger Unterstützung des Erzbistums München und Freising initiiert wurde.
Das Angebot der Krankenwohnung richtet sich an volljährige, kranke, obdachlose Menschen, die medizinisch-pflegerisch versorgt werden müssen und deren Erkrankungen nicht ambulant oder durch einen niedergelassenen Arzt, behandelt werden können.
Aufgenommen werden obdachlose Menschen unter anderem zur Nach- bzw. Weiterbehandlung nach Krankenhausaufenthalten, da sie nicht in eine „Häuslichkeit“ entlassen werden können, aber „bettpflichtig“ sind. Weiterhin können Patienten über die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe zugewiesen werden, wenn in der Unterkunft eine angemessene medizinische Versorgung oder eine verordnete Behandlungspflege nach §37 SGB V nicht gewährleistet werden kann. Die Krankenwohnung verfügt über 4 Betten. Die Aufenthaltsdauer ist befristet und sollte in der Regel 4 bis 6 Wochen betragen.
Die Einweihung und Eröffnung fand am 14.09.2021 durch Kardinal Reinhard Marx statt.
Bereits in den ersten Monaten des Betriebs der Krankenwohnung hat sich gezeigt, dass die Ziele hinsichtlich der Aufnahme von kranken wohnungslosen Menschen, deren ambulante sozialpädagogische und pflegerische Versorgung sowie die Entwicklung einer Wohnperspektive nach dem Auszug aus der Wohnung erreicht werden können. Seit Projektbeginn 2021 konnten insgesamt 12 Personen aufgenommen und versorgt werden. Von den 6 Personen, die die Krankenwohnung bis Jahresende verließen, konnten drei Personen in eine stationäre Einrichtung der Wohnungslosenhilfe vermittelt werden.
Die Weiterentwicklung der Krankenwohnung wird durch das Forschungsprojekt evaluativ begleitet.
Wissenschaftliche Vorträge und Öffentlichkeitsarbeit
- Regelmäßige Vorstellung im Katholischen Männerfürsorgeverein e.V. (seit Februar 2019)
- Landeshauptstadt München Koordinationsstelle Wohnungslosenhilfe (15.03.2019 und 03.07.2019)
- Arbeitsgemeinschaft Wohnungsamt – Projekt Implerstraße (03.06.2019)
- Arbeitsgemeinschaft des Gesundheitsreferats der Landeshauptstadt München – Gesprächsrunde „Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Krankenversicherung mit und ohne Aufenthaltsstatus“ (23.10.2019)
- Landesarbeitsgemeinschaft der freien und öffentlichen Träger in Augsburg (19.11.2019)
- Pressemitteilung zum Projekt (Januar 2020)
- Eröffnung der Krankenwohnung und Einweihung
Pressemitteilung
Fernsehbericht im Bayerischen Rundfunk zur Eröffnung der Krankenwohnung (September 2021) - Bundestagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (04.03.2022)
- Kongress Armut und Gesundheit (22.03.2022)
- Arbeitsgemeinschaft des Gesundheitsreferats der Landeshauptstadt München – Gesprächsrunde „Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Krankenversicherung mit und ohne Aufenthaltsstatus“ (23.03.2022)
- Fachtag für Hilfe für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten (§§67ff. SGB XII und Teil 2 SGB IX) (04.07.2022)
- Vorstellen der Ergebnisse zum Thema „Entlassmanagement“ im Fachgremium „Entlassmanagement der LH München" (09.05.2023)
- Ergebnisvorstellung Evaluationsergebnisse „Krankenwohnung“ beim Jahresplanungsgespräch mit FörderInnen (23.10.2023)
- Arbeitsgruppe zum Themenbereich „Entlassmanagement“ und „Pflege“ BAGW Tagung „Trotz Krisenzeit am Ziel festhalten“ - Überwindung der Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 – Herausforderungen und Chancen (09.11-2023)
- Vortrag „Determinanten medizinisch-pflegerischer Versorgung wohnungsloser Menschen in München“ auf dem Kongress Armut und Gesundheit in Berlin (07.03.2024)
- Teilnahme an Podiumsdiskussion (Dr. Gerd Reifferscheid) Veranstaltung „Ohne Dach viel Schaden - Psychisch belastete Menschen" in der Wohnungsnotfallhilfe der Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe Augsburg (10.06.2024)
- Veranstaltung eines Fachtags zu „Gesundheitsförderung bei Wohnungslosen und obdachlosen Menschen“ an der KSH (26.09.2024)
Wissenschaftliche Gesamtleitung an der KSH München
Prof. Dr. Peter Lenninger
Wissenschaftliche Projektmitarbeiterin an der KSH München
Vera Richter (M.Sc.)
Das Verbundprojekt „Neue Wege in der Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung wohnungsloser Menschen“
Der Fachtag am 26. September 2024 zur Gesundheitsförderung bei wohnungs- und obdachlosen Menschen
Ende September fand im Rahmen des Forschungsprojektes und in Kooperation mit der Koordinierungsstelle für Gesundheitliche Chancengleichheit der Landeszentrale für Gesundheit in Bayern ein Fachtag am Campus München statt, der sich intensiv und kontrovers mit diesem Thema auseinandersetzte und im Rahmen von Workshops Möglichkeiten erarbeitete, wie Gesundheitsförderung gelingen kann.
Auf der folgenden Webseite finden Sie einen ausführlichen Bericht zum Fachtag, Fotos und (perspektivisch) auch die Fachtags-Dokumentation.
Projekthintergrund
Wohnungslosigkeit stellt in München und den umliegenden Landkreisen eines der zentralen sozialen Probleme dar. So waren im Jahr 2024 10.765 Menschen wohnungslos, davon 2.860 unter 18 Jahre alt. Neben fehlendem Wohnraum, Arbeitslosigkeit und Straffälligkeit sind psychische und somatische Erkrankungen zusätzliche Determinanten für Wohnungslosigkeit. Die vielfältigen gesundheitlichen Einschränkungen und die Multidisziplinarität des Versorgungs- und Hilfssystems stellen eine große Herausforderung für die Umsetzung der gesundheitlichen Versorgung und Gesundheitsförderung wohnungsloser Menschen dar. Die Zielsetzung des Verbundprojekts des Katholischen Männerfürsorgevereins e. V. und der Katholischen Stiftungshochschule München ist es, Versorgungsdefizite von wohnungslosen Menschen hinsichtlich ihrer medizinischen, pflegerischen, psychiatrischen und psychosozialen Versorgung zu erheben, Verbesserungsmöglichkeiten und deren Umsetzung anhand von Qualitätsindikatoren aufzudecken und neue Versorgungskonzepte zu entwickeln und erproben.
Einschätzung der Versorgungssituation in München
In einer ersten qualitativen Erhebung mit insgesamt 10 Vertreterinnen und Vertretern der Bezirks- und Kommunalverwaltung, der freien Träger und Initiativen und der Koordinationsstellen in Bayern zeigt sich für die Stadt München, dass sich die Gruppe der wohnungslosen Menschen aus einem heterogenen Personenkreis mit unterschiedlichen Versorgungsbedarf zusammensetzt. Obwohl die Versorgungssituation und das Versorgungssystem insgesamt als gut eingeschätzt werden, bestehen Probleme in der medizinischen, pflegerischen und psychiatrischen Versorgung, der Bereitstellung von bezahlbarem und geeignetem Wohnraum und bei den Übergängen von Systemen und an Schnittstellen.
> Die gesamten Ergebnisse sind in der Projekt-Präsentation abgebildet.
Thematische Ansätze des Projekts
In den Arbeitsgruppen „Sozialpädagogische Versorgung“, „Medizinisch/pflegerische Versorgung“, „Steuerung und Strukturierung der Hilfen“ und „weitere Themen“ wurden in der Auftaktveranstaltung am 26.09.2019 Fragestellungen zu Verbesserungsbedarfen, geeigneten Maßnahmen und Anregungen für das Projekt bearbeitet. Die Schwerpunkte der Arbeitsgruppen lagen auf der medizinisch/pflegerischen Versorgung, der Gewährung spezifischer Hilfeangebote, der Verhinderung von unvorbereiteten Entlassungen wohnungsloser Menschen aus Krankenhäusern und auf der nachhaltigen Versorgung.
Als projektrelevante Themen konkretisierten sich daraus:
- Die Erhebung von Daten zu Pflegebedarfen, medizinischer Versorgung, Mortalitäten und Entlassungen wohnungsloser Menschen aus dem Krankenhaus.
- Das Verfolgen von Ansätzen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung und Gesundheitsförderung, wie z. B.:
- die Vernetzung von Arztpraxen,
- das Einrichten einer Clearingstelle zur Erhebung des persönlichen medizinischen Bedarfs,
- die Erprobung gesundheitsfördernder Konzepte. - Die Verbesserung des Zugangs zu niedrigschwelliger psychiatrischer Versorgung.
- Die Verbesserung der ambulanten und stationären Versorgung für pflegebedürftige wohnungslose Menschen.
Vor diesem Hintergrund sind für das Projekt 3 Handlungsbereiche definiert:
- Versorgungsforschung: Darstellung von Schnittstellenproblemen in der Gesundheitsversorgung
- Versorgungskonzepte und -Modelle: Aufdeckung von Verbesserungsmöglichkeiten und Entwicklung theoriegeleiteter und nutzenorientierter Versorgungsmodelle; Entwicklung und Erprobung neuer Versorgungskonzepte und Versorgungsformen
- Qualifizierung: Entwicklung und Erprobung von Pilotvorhaben im Bereich der Fort- und Weiterbildung des Fachpersonals; praxisnahes Studium
Zu untersuchende Versorgungsbereiche
|
| psychosozial |
Methodische Vorgehensweise
Die Erforschung der oben genannten Felder erfolgt auf unterschiedlichen methodischen Zugangswegen. Hierzu zählen die Analyse von Literatur und Dokumenten, die Auswertung sekundärstatistischer Daten, sowie die qualitative und quantitative Datenerhebung zur Gesundheitssituation und Gesundheitsversorgung wohnungsloser Menschen.
Zwischenergebnisse zum Projekt
Die derzeitigen Projekttätigkeiten in den Handlungsbereichen konzentrieren sich derzeit auf die folgenden Tätigkeiten:
- Versorgungsforschung: Bedarfserhebung im medizinischen Hilfesystem und dem Entlassmanagement; Versorgung älterer, pflegebedürftiger wohnungsloser Menschen
- Versorgungskonzepte: Konzeptualisierung und Initiierung einer Krankenwohnung für Straßenobdachlose
- Wissenschaftliche Vorträge und Öffentlichkeitsarbeit
Das Projekt „Neue Wege in der Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung wohnungsloser Menschen“ ist ein Verbundprojekt des Katholischen Männerfürsorgevereins e. V. und der Katholischen Stiftungshochschule München.
Die Finanzierung erfolgt durch die Erzdiözese München und Freising.
Versorgung wohnungsloser Menschen durch die Arztpraxen
Die Versorgung wohnungsloser Menschen durch die Arztpraxen (insbesondere Pilgersheimer Straße; St. Bonifaz; Malteser Hilfsdienst und Ärzte der Welt e.V. – open.med) ist von besonderer Bedeutung. Diese übernehmen die medizinische Versorgung versicherter und nicht versicherter PatientInnen in erheblichem Maß wie die Behandlungszahlen in der folgenden Tabelle zeigen:
Tabelle 1: Anzahl der Patientinnen und Patienten pro Jahr
Open med | Arztpraxis St. Bonifaz | Arztpraxis Pilgersheimer Straße | Malteser Migranten Medizin | ||
Anzahl PatientInnen | 778 (2019) | 1394 (2018) | 860 (2017) | 859 (2019) | |
967 (2021) | 1430 (2019) | 1056 (2020) | 710 (2020) |
Quelle: eigene Darstellung
Zentrales Thema aus der Sicht der Arztpraxen ist auch die Versorgung nicht anspruchsberechtigter wohnungsloser Menschen in München. Es wird deutlich, dass der Versorgungsbedarf durch die Arztpraxen, auch in der Pandemie, weiterhin sehr groß ist.
Wohnungslose Menschen im Entlassmanagement von Kliniken und Krankenhäusern
Die Versorgung nicht anspruchsberechtigter wohnungsloser Menschen wurde auch im Rahmen unserer Untersuchung von Mitarbeitenden im Entlassmanagement der Kliniken und Krankenhäuser in München bestätigt. Insgesamt wurden 14 Personen durch ein leitfadengestütztes qualitatives Interview befragt.
Quelle: eigene Darstellung
Es zeigt sich, dass Menschen ohne einen Rechtsanspruch, wie oben beschrieben, im System der prekären Versorgung verharren und ggf. durch Ausweisung bedroht sind.
Die Öffnung zu den weiterführenden Systemen, insbesondere nach SGB IX, SGB XII aber auch SGB II bleibt nur für diejenigen geöffnet, die auch entsprechende Rechtsansprüche erworben haben und diese durchsetzen können.
Versorgung, älterer pflegebedürftiger wohnungsloser Menschen
In einer ersten Bewertung der Situation lässt sich folgendes feststellen:
Das Konzept einer niedrigschwelligen Versorgung im Bereich der Wohnungslosenhilfe ist in erster Linie für eine jüngere, insbesondere auch gesundheitlich stabilere Klientel ausgerichtet. Die Problemfälle, die geschildert werden, sind teilweise der demographischen Entwicklung der Klientel, aber auch der Chronifizierung von Erkrankungen geschuldet. Die strukturellen und personellen Bedingungen der Einrichtungen sind auf eine zunehmend pflegebedürftige und unselbständigere Klientel nicht eingerichtet.
In einer ersten Befragung wurden die Leiter*innen dreier Einrichtungen der Langzeithilfe im KMFV untersucht mit insgesamt 187 Plätzen.
Konzeptualisierung und Initiierung einer Krankenwohnung
Strukturell zeigt sich, dass Menschen ohne Versorgunganspruch in einem geschlossenen System verweilen und die Chancen auf Vermittlung in weiterführende Hilfe, trotz eines möglichen Rechtsanspruchs, gering sind.
Der Weg führt von der Straße bei medizinischen Notfällen in der Regel entweder in eine der vier versorgenden Arztpraxen (Pilgersheimer Straße, St. Bonifaz, Ärzte der Welt [open.med] oder Malteser Hilfsdienst) oder in eines der versorgenden Krankenhäuser. Die Vermittlung in das weiterführende und ausdifferenzierte Hilfesystem der Wohnungslosenhilfe oder gar in eine Wohnung ist nahezu unmöglich. Es bleibt die Rückkehr bei Entlassung auf die Straße, die Anbindung an Hilfsangebote wie Haneberghaus St. Bonifaz, Teestube, Beratungsstellen z.B. Schiller 25 oder Otto und Rosi, die Bahnhofsmission und den Sektor der ordnungsrechtlichen Unterbringung (Pilgerheimer Straße, Karla 51 Notschlafstellen [Bayern Kaserne]).
Aufgrund dieses Bedarfs wurde von Seiten des Forschungsprojekts eine Krankenwohnung konzipiert, die in einem ersten Schritt mit vier Plätzen auf Initiative des KMFV und mit alleiniger Unterstützung des Erzbistums München und Freising initiiert wurde.
Das Angebot der Krankenwohnung richtet sich an volljährige, kranke, obdachlose Menschen, die medizinisch-pflegerisch versorgt werden müssen und deren Erkrankungen nicht ambulant oder durch einen niedergelassenen Arzt, behandelt werden können.
Aufgenommen werden obdachlose Menschen unter anderem zur Nach- bzw. Weiterbehandlung nach Krankenhausaufenthalten, da sie nicht in eine „Häuslichkeit“ entlassen werden können, aber „bettpflichtig“ sind. Weiterhin können Patienten über die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe zugewiesen werden, wenn in der Unterkunft eine angemessene medizinische Versorgung oder eine verordnete Behandlungspflege nach §37 SGB V nicht gewährleistet werden kann. Die Krankenwohnung verfügt über 4 Betten. Die Aufenthaltsdauer ist befristet und sollte in der Regel 4 bis 6 Wochen betragen.
Die Einweihung und Eröffnung fand am 14.09.2021 durch Kardinal Reinhard Marx statt.
Bereits in den ersten Monaten des Betriebs der Krankenwohnung hat sich gezeigt, dass die Ziele hinsichtlich der Aufnahme von kranken wohnungslosen Menschen, deren ambulante sozialpädagogische und pflegerische Versorgung sowie die Entwicklung einer Wohnperspektive nach dem Auszug aus der Wohnung erreicht werden können. Seit Projektbeginn 2021 konnten insgesamt 12 Personen aufgenommen und versorgt werden. Von den 6 Personen, die die Krankenwohnung bis Jahresende verließen, konnten drei Personen in eine stationäre Einrichtung der Wohnungslosenhilfe vermittelt werden.
Die Weiterentwicklung der Krankenwohnung wird durch das Forschungsprojekt evaluativ begleitet.
Wissenschaftliche Vorträge und Öffentlichkeitsarbeit
- Regelmäßige Vorstellung im Katholischen Männerfürsorgeverein e.V. (seit Februar 2019)
- Landeshauptstadt München Koordinationsstelle Wohnungslosenhilfe (15.03.2019 und 03.07.2019)
- Arbeitsgemeinschaft Wohnungsamt – Projekt Implerstraße (03.06.2019)
- Arbeitsgemeinschaft des Gesundheitsreferats der Landeshauptstadt München – Gesprächsrunde „Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Krankenversicherung mit und ohne Aufenthaltsstatus“ (23.10.2019)
- Landesarbeitsgemeinschaft der freien und öffentlichen Träger in Augsburg (19.11.2019)
- Pressemitteilung zum Projekt (Januar 2020)
- Eröffnung der Krankenwohnung und Einweihung
Pressemitteilung
Fernsehbericht im Bayerischen Rundfunk zur Eröffnung der Krankenwohnung (September 2021) - Bundestagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (04.03.2022)
- Kongress Armut und Gesundheit (22.03.2022)
- Arbeitsgemeinschaft des Gesundheitsreferats der Landeshauptstadt München – Gesprächsrunde „Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Krankenversicherung mit und ohne Aufenthaltsstatus“ (23.03.2022)
- Fachtag für Hilfe für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten (§§67ff. SGB XII und Teil 2 SGB IX) (04.07.2022)
- Vorstellen der Ergebnisse zum Thema „Entlassmanagement“ im Fachgremium „Entlassmanagement der LH München" (09.05.2023)
- Ergebnisvorstellung Evaluationsergebnisse „Krankenwohnung“ beim Jahresplanungsgespräch mit FörderInnen (23.10.2023)
- Arbeitsgruppe zum Themenbereich „Entlassmanagement“ und „Pflege“ BAGW Tagung „Trotz Krisenzeit am Ziel festhalten“ - Überwindung der Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 – Herausforderungen und Chancen (09.11-2023)
- Vortrag „Determinanten medizinisch-pflegerischer Versorgung wohnungsloser Menschen in München“ auf dem Kongress Armut und Gesundheit in Berlin (07.03.2024)
- Teilnahme an Podiumsdiskussion (Dr. Gerd Reifferscheid) Veranstaltung „Ohne Dach viel Schaden - Psychisch belastete Menschen" in der Wohnungsnotfallhilfe der Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe Augsburg (10.06.2024)
- Veranstaltung eines Fachtags zu „Gesundheitsförderung bei Wohnungslosen und obdachlosen Menschen“ an der KSH (26.09.2024)
Wissenschaftliche Gesamtleitung an der KSH München
Prof. Dr. Peter Lenninger
Wissenschaftliche Projektmitarbeiterin an der KSH München
Vera Richter (M.Sc.)